Bern, Dezember 2020
Kürzlich tauschte ich mich mit einem Lehrer über Missverständnisse zwischen Lehrpersonen und Jungwesen aus. Da versuchen Lehrpersonen ihr Zutrauen, Komplimente und andere positive Verstärkungen auszudrücken. Doch von den Jungwesen wird das Zutrauen nicht immer als solches erkannt, sondern schon auch mal als Erwartungsdruck verstanden. Oder ein angedeutetes Kompliment überhören sie schlicht.
Kommt Ihnen das bekannt vor? Sie wollen ein Lob aussprechen und ihr Gegenüber kann dieses nicht annehmen. Oder Ihnen werden immer wieder prüfende, bisweilen ängstliche Blicke zugeworfen, bis Sie eines Tages – vielleicht in einer Feedback-Runde mit Ihrem Team – verstehen, dass Ihre Gesichtszüge etwas anderes transportieren, als Sie fühlen.
Haben Sie sich schon mal gewünscht, für andere Menschen eine Bedienungsanleitung, ein Benutzerhandbuch oder doch wenigstens eine Art Google Translate zu erhalten? Genau das ist mir bei den Missverständnissen zwischen Lehrpersonen und Jungwesen in den Sinn gekommen: Wie erleichternd Gebrauchsanweisungen wie «Keine Fragen vor 8 Uhr morgens» oder Simultan-Übersetzungen wie «Ou, mein Blick wirkt offenbar wieder einmal einschüchternd. Doch so schaue ich, wenn ich mich konzentriere» wären. Wäre «gäbig»1, oder?
Schreiben Sie bereits Gebrauchsanweisungen von sich? Wenn nicht: Vielleicht haben Sie nun Lust, mutig voranzugehen und eine Bedienungsanleitung für Ihre wichtigen privaten und beruflichen Kontakte anzufertigen? Die besagen, wie manche Verhaltensweisen, die beim einen oder anderen Unsicherheit oder anderes auslösen, von Ihnen gemeint sind. Und was ist mit einer Art Google Translate, der zwischenmenschlichen Missverständnissen vorbeugt und rasch behebt? Nun ja, den können Sie ab sofort installieren: Dafür müssen Sie natürlich wissen, was an Ihnen und Ihrem Verhalten für andere schwierig oder missverständlich ist. Ihnen kommt nichts in den Sinn? Warum bitten Sie nicht nahe Menschen, Ihnen hierzu Feedback zu geben? Ich für meinen Teil weiss, dass ich im Stress streng und nüchtern tönen kann. Sie können sich vorstellen, dass ich das meine Lieben und Seminar-Teilnehmer*innen besser wissen lasse. Ich bin gespannt, worauf Sie kommen und worüber Sie mit Ihren Lieben, Arbeitskolleg*innen und Freunden sprechen!
Im Übrigen habe ich ein paar Tage nach dem Schreiben dieses Textes im Magazin die Kolumne von Krogerus & Tschäppeler «Warum wir keinen Lebenslauf, sondern eine Gebrauchsanweisung schreiben sollten» entdeckt. Auch wenn es mich ein wenig gewurmt hat, dass Krogerus & Tschäppeler ihre Gedanken vor mir publiziert haben – kann ich den Text jetzt noch veröffentlichen oder sieht das nach «Nachegaggere»2 aus? –habe ich mich sehr darüber gefreut, dass bereits mindestens drei Menschen an den Wert von Bedienungsanleitungen in menschlichen Belangen glauben.
1 «Gäbig» ist das berndeutsche Wort für praktisch.
2 «Nachegaggere» ist das berndeutsche Wort für Nachmachen.
© Nicole Gilgen, lic. phil, Fachpsychologin für Coaching-Psychologie FSP